Was vom Hersteller rsp. Importeur gut organisierter Service bedeutet, habe ich gerade eben zwei Tage vor Weihnachten erfahren. Ich war zeitlich auf einer Gratwanderung unterwegs - wie das halt oft so ist vor Weihnachten: Einen Auftrag noch schnell mitnehmen, obwohl es zeitlich knapp werden könnte. Ich hatte einen journalistischen Auftrag in Verona angenommen, der am 22. abends endete, und ich mußte beruflich für meinen Hauptarbeitgeber am anderen Tag um 5 Uhr 30 in München antreten. Normalerweise kein Problem, ab Verona sinds regulär rund vier Stunden über den Brenner zu mir nach Hause, also Mitternacht im Bett und um 5 Uhr 30 pünktlich in München bei der Arbeit (Anfahrt von mir zuhause rund 40 Minuten).
Da mein Auftraggeber für Italien immer einen Mietwage bezahlt, schonte ich meinen Lancia Delta und nahm bei einem großen Autovermieter ein Fahrzeug der Golf-Klasse, in diesem Fall einen nagelneuen Mercedes B 180 CDI mit nicht mal 2000 Kilometer auf der Uhr. Während der Fahrt ging schon immer wieder unvermittelt die Tankklappe von selber auf. Des weiteren quietschte bei jeder Bewegung der Gurtumlenkpunkt in Ohrhöhe, und der Blinkerhebel knarzte unschön beim Linksblinken. Einen Lancia hätte man in Autobild wegen mieser Verarbeitung dafür niedergemacht, wetten? Das Auto fährt ansonsten übrigens gut, ist aber für die äußere Größe innen eng und in der Bedienung katastrophal unergonomisch (Klimabedienteil winzig beschriftet und viel zu tief in der Mittelkonsole, nerviger Einarm-Hebel nur links - wie üblich bei MB - mit Funktionen überladen usw.) - nun gut, letzterer vielleicht ja auch Gewöhnungssache. Und, wie gesagt, die Innenraumverarbeitung ist vereinzelt nicht gerade vom Feinsten...
Aber dann kams dicke: Auf dem Rückweg, abends um 21 Uhr springt das Ding nach dem Tanken an der Raststätte Nogaredo Est (zwischen Rovereto und Trento) nicht mehr an, macht keinem Mucks - irgendeine Elektronikmacke. Deutsches Premiumfahrzeug, zwei Wochen alt, mit 2.400 Kilometern auf der Uhr... !!
Ich hab die deutsche Notrufhotline des Autovermieters angerufen, der informiert den ACI, der kommt nach über zwei Stunden (!!) aus einem Stützpunkt, der vier Kilometer von meinem Standort entfernt liegt (!!!) und schleppt mich ab. Ich erkläre, dass ich in wenigen Stunden in München sein MUSS, weil ich nach 23 Uhr kaum noch einen Kollegen finde, der meinen Dienst beim Radiosender, für den ich arbeite, übernimmt.
Bei jeder anderen Automarke hätte man mich jetzt in ein Hotel geschickt, mit den Schultern gezuckt und Gute Nacht gewünscht. Zug ging keiner mehr um diese Zeit, der Autovermieter brachte kein Ersatzauto her um diese Zeit, ein Taxi hätte mehrere hundert Euro gekostet.
Zum Glück hatte ich aber einen Mercedes (die Marke interessiert mich ansonsten null), denn die bieten so ziemlich als einzige einen 24-Stunden-Service - und zwar offensichtlich top organisiert. Der ACI-Dienst telefonierte um 23 Uhr 30 mit der Mercedes-Vertretung in Trento. Dann kam er und sagte: "OK, wir fahren da jetzt hin, die schicken einen Mechaniker". "Um diese Zeit noch?" fragte ich... Der Mann vom ACI nickte: "Mercedes schon..."
Zehn Minuten später überholte uns auf der nächtlichen Landstraße mit Lichthupe eine A-Klasse. "Das ist Graziano, Ihr Mechaniker", sagte der ACI-Abschleppfahrer.
Um zehn vor Mitternacht stand ich mit Graziano, schätzungsweise 25 Jahre alt, in der riesigen Reparaturhalle von Mercedes in Trento zwischen rund zehn aufgebockten Kundenautos. Er schloß das Lesegerät an und suchte, fahndete, probierte akribisch so lange, bis er den Fehler gefunden hatte: Einen defekten Elektronikschalter am Kupplungspedal der B-Klasse, der die Start-Stopp-Anlage (Blue Efficiency) steuerte und den Motor nicht mehr starten ließ. Um ein Uhr nachts suchte er alleine das ganze Lager nach dem Ersatzteil ab, um festzustellen, dass sie es nicht parat haben.
Aber - die A-Klasse habe dasselbe Bauteil, hier auf der Hebebühne stehe das fast neue Auto einer Kundin, die erst in ein paar Tagen wiederkäme, das baue er jetzt aus und in mein Auto ein. Um halb zwei in der Nacht lief meine Kiste wieder mit dem Bauteil aus der A-Klasse der Kundin. Die Tankklappe hat Graziano dann auch gleich noch repariert. Ich habe mich mit großzügigem Weihnachts-Trinkgeld und warmen Worten verabschiedet und war drei Stunden später tatsächlich zwar übernächtigt und k.o., aber rechtzeitig zum Dienst in München.
Mein Fazit? Mercedes interessiert mich weiter nicht besonders, und die Autos, die sie derzeit bauen, werden qualitativ (siehe meine B-Klasse) offenbar weit überschätzt. Aber der nach einheitlich sehr hohen Standards arbeitende Service war wirklich beeindruckend. In dieser Vertretung war alles sauber, bestens geordnet, man fühlte sich, wäre nicht Graziano mit seinem Italienisch da gewesen, wie in einer Werkstatt in Hamburg oder München. Und ein offenbar sehr gut funktionierender 24-Stunden-Service nötigt mir Respekt ab und macht geneigt, sich das auch bei anderen - zumindest selbsternannten Premium-Marken, zu wünschen. Ich werde deswegen jetzt nicht meinen Lancia verkaufen und einen Mercedes kaufen, aber man fühlt sich schon sehr gut aufgehoben. Das war klasse Arbeit, und die hohen Standards waren sichtbar vom Werk vorgegeben und kontrolliert, also KEINE freiwillige Goodwill-Leistung des Händlers. Dieses Serviceverhalten hat mir, salopp gesagt, beruflich den Hals gerettet!
Der Autovermieter bestätigte mir in Deutschland, als ich den Fall meldete, bei BMW oder Audi hätte ich vor Ort nächtigen oder mit dem Taxi fahren müssen - kein 24-Stunden-Service.
Das nur mal so als Anregung und Beispiel zum Nachdenken... mich hat´s jedenfalls beeindruckt. Und Graziano kriegt als Mechaniker von mir eine lobende Meldung an Mercedes - hab die Mail grade abgeschickt. Der Bursche war wirklich hilfsbereit, sympathisch und gut drauf. Man soll ja nicht immer nur Laut geben, wenn man was zu meckern hat, sondern auch mal, wenn etwas gut war...

Frohe Weihnachten Euch allen...
Gruß, Alex