Ciao Fiore,
ja, es hat sich in Italien einiges auch in Hinsicht der Einstellung verändert. Aber natürlich gibt es auch extrem viele Fehler, die man in der Vergangenheit gemacht hat. FIATs Untergang hat NICHT Marchionne eingeleitet, sondern eine Generation korrupter, unfähiger und geldgieriger Manager, die nicht den Sinn darin sahen, zu investieren, sondern mit Staatsgeldern sich eine goldene Nase zu verdienen und dann kommt noch etwas Politik hinzu, die ich hier nicht weiter ausführen will, die aber entscheidend sind, wieso am Ende in Süditalien Autofabriken im Niemandsland entstanden bzw. eine Camorra verseuchte Totengräberstätte namens Pomigliano weiterhin unerschrocken Autos bauen durfte, während man im Norden alles zerschlagen hatte. Es geht hier um den „Kalten Krieg“, den Gewerkschaften und alles, was damit zu tun hat.
Aber bei aller Kritik und Hass auf Agnelli und Co, beides nicht völlig unberechtigt, müssen wir auch ehrlich sein und sagen, Alfa produzierte schon vorher Schrott und als Staatsunternehmen wurde es von italienischen Politikern über Jahrzehnte systematisch in den Ruin getrieben. Lancia war, wenn nicht mit dem Tod Vincenzos dem Untergang geweiht, spätestens von seinen Nachfolgern heruntergewirtschaftet. Lancia mag extravagante Fahrzeuge gebaut haben, aber frage einmal, wie viele Jahre man vor der Zeit mit FIAT Gewinne schrieb und wie viele, in denen nur mit Bankengeldern überleben konnte. Frage einmal, was die Nachkommen Lancias heute tun und du verstehst, dass diese Hersteller mindestens 40-50 Jahre tot sind und. Dass FIAT und Co es am Ende nicht geschafft haben, beide Marken hochzubringen, Lancia nach guten Jahren unter FIAT mit dem Eintritt Alfas, Schritt für Schritt auch bergab ging, ist ein anderes Thema.
Aber du Fiore, du müsstest auch die italienische Mentalität gut kennen und du weißt, für uns ist das Grün des Nachbarn immer grüner und unser Nationalstolz gibt es nicht einmal beim Fußball. Frage einmal, wie viele Deutsche für Inter sein werden und wie viele Italiener für Bayern, Hauptsache gegen Inter Mailand, und du verstehst, was ich meine.
Als FIAT in Italien noch ca. 50-60% Marktanteil hatte, meinte ich zu meiner damaligen Kollegin „Man kann sehen, dass die Italiener italienische Autos lieben“ und sie schaute mich mit großen Augen an und sagte: “Du siehst das total falsch, wir lieben nicht italienische Autos, sondern kaufen sie, weil wir eine bessere Ersatzteilversorgung haben, überall du sie reparieren lassen kannst, aber wir träumen von Mercedes“.
Ich habe sie damals für verrückt erklärt, für eine Spinnerin, auch weil ich dachte, dass sie wohl selbst lieber einen Mercedes gehabt hätte (sie hatte einen Punto I, damals gerade auf dem Markt). Das heißt, wir Italiener haben und hatten immer eine „Klasse“ tiefer gedacht. Italien hatte seinen FIAT 500, Deutschland seinen Käfer und heute ist das meistverkaufte Auto in Deutschland eines aus dem C-Segment, in Italien unter den ersten 10 nur aus dem A- und B-Segment mit dem Golf als einziger Vertreter des D-Segments.
Aber selbst unsere Fahrzeuge aus den oberen Segmenten wurden früher weder von uns Italienern noch von denen aus dem Ausland als „gleichwertig“ mit deutschen Produkten gesehen. Das müsstest du wissen. Es geht hier nicht um die puren Verkaufszahlen, sondern um das Image, dass die Fahrzeuge genossen.
Der Dedra müsste eigentlich ein Fahrzeug des D-Segments gewesen sein, der Thema aus dem E, aber in Italien stopfte man den Thema in eine Klasse mit dem 3er BMW oder des damaligen 190er Mercedes.
In Deutschland hätte kaum einer den Dedra oder welchen Lancia auch immer mit den Premiumherstellern verglichen, sondern in Wirklichkeit war die Mehrzahl der Kunden Personen, die vielleicht sich sonst einen Golf oder Passat hätten kaufen wollen/können.
In Italien gab es die 2-Liter-Hubraumgrenze, ergo war Lancia und FIAT bevorteilt, weil sie ja mit ihren leistungsstarken Turbos hier für Leute erschwinglich schienen, die ein BMW oder Mercedes mit ähnlicher Leistung nie hätten sein können. Oder anders ausgedrückt: Du kauftest dir einen Lancia Thema Turbo, weil du ihn dir steuerrechtlich und vom Kaufpreis her leisten konntest, aber träumtest von den wesentlich teueren deutschen Autos. Und wer sich dann so ein deutsches Auto leisten konnte, war natürlich der Star, die Person, die man beneiden konnte, die man gerne hätte kopieren wollen.
Verstehst du? Die verkaufstechnischen Boomjahre waren im Endeffekt die Totengräber des Images. Gerade in den oberen Segmenten kommt es in erster Linie aufs Image an. Man kauft eher wegen des Images (siehe VW Phaeton) als wegen der Substanz.
FIAT und auch Lancia sind in den letzten 40 Jahren mit Sicherheit nicht als „Nobelhersteller“ oder als Vorbild einer Automobilgeneration in die Gesichte eingegangen und wenn der Zug einmal abgefahren ist, wird es verdammt schwer, wieder halbwegs Fuß zu fassen.
Und selbst wenn du Marchionne für unfähig hältst, für einen Idioten oder für den Totengräber FIATs, dann frage ich dich, wieso schaffen es denn weder die Franzosen noch die Japaner, den „Deutschen“ in den oberen Segmenten Paroli zu bieten?
Wieso überlegen die Franzosen, ob man überhaupt in den oberen Segmenten tätig werden sollte? Warum schafft es Toyota nicht, Lexus als ABM-Gegner zu positionieren. Es kann ja sein, dass man in Italien bei FIAT alles Dummköpfe sitzen hat, aber nun auch bei den Japanern?
Vielleicht hätte FIAT 2005 schließen sollen. Das mag vielleicht richtig sein und es wurde viel spekuliert. Die Börse wollte eigentlich, dass die Autosparte der FIAT-Gruppe gelöscht würde, einfach verscherbelt, geschlossen und fertig und so reagierte sie denn auch am Anfang sehr verschnupft, als man es sich anders überlegt hatte.
Wer und warum am Ende das so wollte, dass FIAT weiterhin bestehen sollte weiß ich nicht. Vielleicht war es der Staat, der ein Schließen aller Produktionsstätte befürchtete und somit Druck auf den Agnelli-Clan ausübte, vielleicht war es der Agnelli-Clan selbst, der vielleicht um die eigene Identität fürchtete oder vielleicht auch von allem etwas, aber Fakt ist, dass FIAT am Ende war, in jeder Hinsicht.
Es kommt noch ein weiteres Problem, das viel tief greifender ist und vielleicht auch den GAP in technologischer Hinsicht erklärt. Die italienische Gesellschaft und Ökonomie stagniert seit fast 20 Jahren. Wir haben längst den Anschluss verpasst und sind fast überall Schlusslicht. Uns fehlt es an fähigen Technikern und Ingenieuren und die wenigen, die es gibt, ziehen es vor, lieber für viel Geld ins Ausland zu gehen, weil sie in jeder Hinsicht sowohl für die eigene Karriere als auch für den eigenen Lebensstandard bessere Chancen sehen.
Aber diese Situation kennt kaum einer unserer Landsleute, weil er viel lieber von einer Regierung hören will, wie schön und toll doch alles ist. Italien hat durch den „berlusconismo“ bereits über 15 Jahre verloren und die Situation verheißt nicht viel Gutes.
Somit ist FIAT gezwungen, aus Italien herauszukommen und vielleicht erklärt es sich auch, dass man nach erfolgloser Suche nach geeigneten Partnern am Ende das Abenteuer Chrysler eingegangen ist.
Wenn wir ehrlich sind, müsste FIAT ALLE italienischen Fabriken komplett dicht machen, denn nur so ließe sich eine Qualität garantieren, wie sie in Europa Standard ist.
Und da kommen wir zur Frage, was Marchionne geschafft. Du hast in letzter Zeit viel über „Schlampereien“ gelesen gehabt, was alles nicht funktioniert usw. usw. usw., aber weißt du, dass das, was hier bemängelt wird, eigentlich ein Quantensprung nach vorne ist? Weißt du, wie die Autos 2003-04 zusammengeschustert wurden?
Schau dir heute einen Punto Evo an und dann erinnere dich an einen Punto II Restyling aus dem Jahre 2003. Der Unterschied könnte nicht größer sein und dennoch müsste immer noch erheblich verbessert werden, damit man annähernd Tychy erreichen würde.
Schau dir einen Panda aus Tychy an und vergleiche ihn selbst mit Fahrzeugen aus dem D-Segment der FIAT-Gruppe „Made in Italy“ und du verstehst, wieso FIAT aus Italien weg müsste, vor allem aus dem Süden.
Ich habe mit meinem Delta verdammt viel Glück gehabt und bei ihm sitzt wirklich alles, wo es sitzen müsste, aber du hast selbst gelesen, welche Probleme der eine oder andere hatte bzw., dass hier und da mal etwas vergessen wurde.
Ich bin vor zwei Wochen ein Wochenende mit einem A3 unterwegs gewesen, von den Materialien wie auch als Auto, locker eine Klasse schlechter und auch nicht frei von Klappergeräuschen, aber wenigstens war alles vorhanden, saß alles passgenau und perfekt zusammengebaut aus.
Das ist und war immer die Achillesferse der FIAT-Gruppe und das macht es verdammt schwer, Fahrzeuge in den oberen Segmenten anzubieten. Das ist auch das Problem des 159er gewesen, denn optisch passte er, aber was er so an Kinderkrankheiten hatte bzw. was alles an Sabotage, Schlamperei und Diebstahl abging, ruinierte den 159er komplett. Manche reden vom Gewicht, aber das kann es nicht allein sein, denn sonst würden sich viele andere Konkurrenten, die keine Leichtgewichte sind, sich auch nicht verkaufen. Und auch die Motorisierungen können nicht allein das Problem gewesen sein, denn es ist ja nicht so, dass nun alle ABMs hier mit 300 und mehr PS durch die Gegend fahren und mittlerweile gibt es leistungsstarke Motoren, wurde Gewicht eingespart und die Preise derart gesenkt, dass du für einen gut ausgestatteten VW Golf beinahe einen 159er bekommst.
Aber der Imageschaden, den der 159er davongetragen hat, ist irreparabel (und den auch schon sein Vorgänger eingeleitet hat, denn auch er war nicht frei von „Problemchen“).
Und da kommen wir zur Giulietta, sie wird auch nicht besser zusammengebaut werden als ein Bravo oder Delta, da sie alle aus der gleichen Fabrik stammen
Daher wird auch kein größerer Lancia oder Alfa in Zukunft in den südlicheren Fabriken gebaut, sondern wahrscheinlich bei Ex-Bertone, dann eh eine kleinere Serie und hier wird es sich dann zeigen, ob FIAT es schafft, wenigstens vom Image her sich besser zu positionieren.
Wie schon oft gesagt, die FIAT-Gruppe hat mit FIAT, Lancia und Alfa keine Chance, gegen ABM zu bestehen. Das geht nicht. Man kann nur versuchen, mit geringen Stückzahlen zu planen und Autos auf die Beine zu stellen, die endlich qualitativ so sein werden, wie es eigentlich immer hätte sein müssen.
Ich glaube auch nicht, dass FIAT, Lancia oder Alfa nun um jeden Preis Limos auf Teufel komm heraus zu bauen, um zu überstehen, denn wie dir vielleicht aufgefallen ist, drängen Audi und BMW immer stärker in den unteren Segmenten. BMW ist sogar bereit, auf Heckantrieb zu verzichten und auf Vorderradantrieb zu setzen, nur um mit Peugeot zusammen Autos herstellen zu können.
Das bedeutet, die Partie wird in den unteren Segmenten gewonnen und nicht mehr in den oberen. Die oberen Klassen sind dann reine Prestigeobjekte.
Tanti saluti
Bernardo