Ciao Rainer,
ich verallgemeinere natürlich, weil man sonst von Caio, Tizio und Sempronio reden müsste, aber mit Sicherheit ist in Italien das Geld sehr wichtig und der Gemeinsinn extrem niedrig. Bis vor wenigen Jahren sind Italiener kaum in eigene Museen gegangen und die italienische Kultur wurde mehr von Ausländern gepflegt denn von uns selbst. Ich habe am Anfang, als ich nach Italien ging, vieles für einen Witz gehalten. Du glaubst nicht, wie viele erstaunte Fragen beantworten musste, wieso ich mit italienischen Autos nach Italien komme, wo man doch in Deutschland "so tolle Autos" bekommen kann.
Als ich nach Italien ging, hatte Fiat hier als Gruppe einen Marktanteil (lass mich nicht lügen) so um die 60%, dann rund 50%, ergo bin ich der Meinung gewesen, dass man hier FIAT liebt, doch mitnichten. Als meine Kollegin meinte, man kaufe FIAT und träume von Mercedes, habe ich es für einen bösen Scherz gehalten oder "was verstehen Frauen schon von Autos", bis dann in Italien zuerst die Luxussteuer verschwand, sodass deutsche Autos, die i.d.R. mehr Hubraum hatten und nicht mit dem berühmten Lampredi-Turbo bis 2 Liter-Hubraum hausieren konnten, nun nicht mehr überteuert waren. Damit verschwand der Vorteil, den FIAT hatte. Schlimmer noch, es drehte sich nun ins umgekehrte, weil halt deutsche Autos vorher wegen der Luxussteuer ja den Ruf "Luxus" zu sein. Dazu kamen dann viele mangeriale Fehler FIATs bzw. Agnellis, der mehr an seine Brieftasche dachte und FIAT ausbluten ließ (ich möchte nicht wissen, wie viel Geld außerhalb Italiens transferiert wurde und aus FIAT herausgezogen). Den Rest kennen wir. Schau, in italienischen Zeitungen werden italienische Autos zerrissen, deutsche Autos als das "Nonplusultra" hingestellt. FIAT, Lancia und Co kann sich mit Hyndai oder Dacia messen. Weiß du das Kurioseste? Wir Italiener finden die eigenen Autos eher als "hässlich" und die überwiegende Mehrzahl deutscher Autos als "wunderschön". Selbst deutsche Fahrzeuge, die in Deutschland gefloppt haben, sind hier erfolgreich gewesen, mit wenigen Ausnahmen.
Wir Italiener sind in Sachen Lesen von Büchern und Zeitungen Schlusslicht und sehen vor allem TV (nicht umsonst hat Silvio solche Erfolge feiern können

) Wir sind in Punkto Forschung Schlusslicht, auf dem Level der Türkei, Geld wird nun besonders in Bildung und Forschung gespart, obwohl wir hier eh schon in Europa hinterherhinken. Deutschland jammert über Pisa und wir wären froh, wenn wir euch erreichen würden und keinen stört es hier wirklich. Wie gesagt, Gemeinsinn gibt es nicht, sondern Egoismus pur, versteckt hinter einer Maske. Die Situation ist also alles andere als rosig.
Du sprachst gerade Mailand an, aber weißt du, dass gerade in Norditalien kaum noch italienische Autos vorzufinden sind? Die Mehrzahl der italienischen Autos, die in Italien verkauft werden, werden im Süden gekauft. Der Marktanteil in Norditalien der deutschen Autos ist recht groß. Wer sich in Italien aufhält, wird von den Autos her nicht denken, in Italien zu sein. Das ist komplett anders als es vielleicht vor 20-25 Jahren der Fall war, als man kaum deutsche Autos sah.
Wie schon gesagt, du findest eher einen Italiener bei Leuten mit geringerem Bildungstand, als bei solchen, die einen höheren Bildungsstand bzw. größerem Geldbeutel haben. Ein Bekannter von mir, Arzt in Rom hat sich gerade einen neuen A3 zugelegt, zuvor fuhr er Passat, "meine" Anwältin fährt VW Golf, unter meinen Kolleginnen als Lehrer waren von den neueren Fahrzeugen kein einziger Italiener. Eine weitere Nachbarin ist Ärztin und fährt einen Toyota RAV, der Mann ist Apotheker mit eigener Apotheke und fährt nun einen 330xd,SW, nachdem er vorher einen Golf hatte. Wenn ich hier den römischen "Bildungsstand" sehe, der sich hier oft aufhält, findest du keinen einzigen Italiener darunter. Lediglich mein Nachbar hat sich einen Ferrari gekauft, nachdem er immer nur Porsche fuhr.
Hier gibt es auch FIAT/Lancia/Alfa-Fahrer, eine ist Krankenschwester, der andere fährt Alfa und hat die Werkstatt hier gegenüber und einer meiner Freunden hat einen Grande Punto Sport, nachdem einen Alfa 156er und dann einen Renault Espace gekauft hat, seine Freundin einen FIAT 500. Lediglich ein Unternehmer hier bei uns fährt grundsätzlich italienische Autos und hat sich vor einigen Jahren einen Lancia Thesis zugelegt. Mein toter Hausarzt hatte fast nur Japaner und zuletzt deutsche Autos, der neue fährt Citroen C5, der andere hier im Dorf auch 3er BMW SW. Die Anwälte und Notare, mit denen ich hier in meiner Region zu tun hatte, fuhren alle durchweg nur deutsche Autos, nicht einmal Franzosen.
Aber du kannst es auch an gewissen einfachen Dingen ablesen: Die überwiegende Mehrzahl des Deltas (III) wird hier in Italien mit dem 1,6er MultiJet genommen (seit Ende des Jahres auch den 1,4er T-JEt mit serienmäßiger LPG-Anlage, wie Lanzwil ihn hat, der ja nebenbei auch den Thesis hat), aber wenn du dir einmal die vielen deutschen Autos anschaust, wirst du feststellen, dass viele sehr große Motoren haben und selten mit dem Basis-Diesel durch die Gegend fahren. In meiner Provinz wurden in fast zwei Jahren lediglich 2 Twinturbos verkauft und mein 1,8er ist der einzige seiner Gattung in meiner Provinz, dafür fast alle mit dem 1,6er und zuletzt vor allem mit dem 1,4er LPG-Motor.
Ein weitere Anmerkung: Als ich meinen Delta bestellte, brauchte man eine zweite Seite für die Extras. Das war das erste Mal, dass das im Autohaus passiert ist und es handelt sich hier um einen großen A-Händler, der exklusiv die Provinz beliefert und in normalen Jahren rund 6-8 Fahrzeuge täglich verkauft. Einer der Verkäufer hatte vorher bei Mercedes und BMW gearbeitet und meinte, dass es völlig normal war, dass man eine enorme Aufpreisliste hatte, die auch der "Durchschnittskunde" hatte.
Mittlerweile fährt auch die italienische Polizei mehr und mehr deutsche, japanische oder französische Autos und unsere Politiker - auch die Bürgermeister vorwiegend deutsche Autos. Das ist das Bild, was sich hier auftut.
Daher kann es nicht verwundern, dass alle italienische Neufahrzeuge einen Marktanteil von zurzeit knapp über 30% haben, wobei hier nicht die Fahrzeuge des "Parallelmarktes" eingerechnet sind, denn viele deutsche Fahrzeuge über den "zweiten Markt" eingeführt.
Tanti saluti
Bernardo