Bertone Werk

Dean
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Joined: 21 Dec 2008, 19:26

Bertone Werk

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Yuheee, die 600 Mio. Euro Investition wurden seitens FIAT eingefroren.

Gewerkschaften sei dank!

Ein Land (Italien) das regiert wird von assozialen Sesselfurzern.
lanciadelta64
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Re: Bertone Werk

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Ciao Dean,

die Sache ist komplizierter als du denkst. Gewerkschaften hin oder her. Das Problem hängt mit der Vergangenheit zusammen und hier haben Leute wie Romiti und Co nicht gerade mit „Verlässlichkeit“ geglänzt. geglänzt.
FIAT hat unter Romiti damit begonnen, sich mehr und mehr aus dem Automobilgeschäft zu „verabschieden“ und Gelder immer mehr herausgezogen. Die Folge, FIAT landete in die Krise, ergo bekam man staatliche Unterstützung (das Kurzarbeiten zu „Null-Stunden“ geht auf Kosten es Steuerzahlers und entlastet Unternehmen), wobei man dann Versprechungen vornahm, die Gewerkschaften ihrerseits weit entgegen kamen, aber im Endeffekt von Romiti und Co vorgeführt wurden. Dann wurden Rechte eingeschränkt, Pflichten erhöht, aber nichts bekam man, denn die nächste Krise stand vor der Türe und das war eine Spirale, die am Ende für viele Arbeiter die Dauerarbeitslosigkeit bedeutete.

Chivasso ist eines der dunkelsten Kapitel, denn während ein Gericht die sofortige Wiedereinstellung forderte, wurde am gleichen Tag mit Bulldozer alles dem Erdboden gleich gemacht (und manche wundern sich, wieso es keine Ersatzteile mehr für alte Fahrzeuge gibt, eben weil die ganzen Maschinen, teilweise neu, völlig zerstört wurden) um somit allen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Chivasso wurde für Pomigliano aufgegeben und bis heute kann ich nicht nachvollziehen – zumindest nicht unter rationalen Gesichtspunkten – wieso man das getan hat.

Arese war dann das nächste Debakel, wieder mit vielen Versprechungen und Lügen. Somit gibt es tief grundlegendes Misstrauen gegenüber FIAT und auch gegenüber dem italienischen Staat. FIAT hat bis heute nicht erklärt, was man genau tun will und vor allem, wie man diese Beschäftigung garantieren will. Für die Gewerkschaften (in erster Linie ist hier eher die „oppositionelle“ FIOM der Gegner, während die Gewerkschaften, die eher den Regierungsparteien wohl gesinnt sind, eher bereit zur Akzeptanz sind) geht es nicht allein um Grugliasco (Ex-Bertone Fabrik), sondern um vielmehr. Die Arbeiter in Modena (Maserati) sind extrem beunruhigt und befürchten, dass die Investionen in Grugliasco zu ihren Lasten geht und dass eventuell Maserati in naher Zukunft nur in Grugliasco gebaut werden, mit der Folge, dass der Fabrik in Modena das gleiche Schicksal von Arese und Chivasso ereilen könnte. Die FIOM will nicht am Ende einem Vertrag zustimmen, der nichts anderes bedeutet, als dass man an einem Standort die Leute wegrationalisiert, die dann woanders für deutlich schlechtere Konditionen arbeiten müssen. Ein weitere Angst ist der so genannte „Domino-Effekt“, dass nämlich am Ende nicht nur die FIAT-Fabriken betroffen sein werden, sondern diese Verträge einfach auf alle Arbeitsplätze aller Industriezweige ausgeweitet werden könnte oder anders ausgedrückt, die Aushöhlung des nationalen Mantelvertrags, den es gibt und der dann wohl nur noch Makulatur wäre.

Angesichts des Misstrauens geht es also um wesentlich mehr als nur um Grugliasco. FIAT wiederum antwortet mit mehr oder weniger gleichen Methode der Epressung, „friss oder stirb“, also aut-aut, ohne dass wirklich verhandelt wird, was eine sehr einseitige Art ist.

Ob aber diese Art am Ende die Arbeitsmoral verbessern wird, wage ich einmal zu bezweifeln, zumal einiges in meinen Augen – und nicht nur in meinen – gegen die verfassungsrechtlich garantierte frei Wahl der Gewerkschaft verstößt. Damit nicht genug, denn kaum einer wird diesen Vertrag aus Überzeugung unterschreiben, viele einfach aus Angst und es könnte zu einem Bumerang werden, der dann in Sabotage endet, worin die FIAT-Fabriken sehr geübt sind.

Verstehe mich nicht falsch, ich versuche hier nichts zu rechtfertigen und du weißt, wenn es nach mir ginge, würde die GESAMTE Produktion ins Ausland verlegt, sodass von mir aus hier in Italien Lambos (die dann abfackeln) oder DRs gebaut werden, aber der Rest bitte weg, denn das garantiert auf jeden Fall keine Sabotageakte und somit funktionierende Fahrzeuge.

Tanti saluti

Bernardo
BillBo
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Joined: 22 Jan 2011, 17:25

Re: Bertone Werk

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Wenn ich das alles hier so lese, trübt das mein Kauf des Lancia Delta irgendwie.
Morgen kann ich abholen. Mach mir da ein wenig Gedanken.
Und im FIAT-Lager sehe ich nur Baustellen. X(
seit 24.3.2011
Lancia Delta 1,4 Multiair
Oro-Ausstattung - Bi-Color
lanciadelta64
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Joined: 07 Jan 2009, 20:28

Re: Bertone Werk

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Mache dir um deinen Lancia keine Sorgen, denn der wird weder in Mirafiori, noch im ehemaligen Bertone Werk, auch nicht in Pomigliano ;)

Natürlich ist das eine Baustelle, aber die hast du so ziemlich bei jedem Hersteller und die Situation wird sich noch verschärfen, denn nicht alle Hersteller werden in der aktuellen Form überleben (lassen wir einmal die Exoten beiseite, wobei Porsche bei VW gelandet ist, Lambo sowieso und Ferrari gehört seit "ewigen" Zeiten zu FIAT). FIAT war 2004 de facto bankrott, damit nicht genug, wenn es nur das gewesen wäre, aber man hat in der Überzeugung, von GM geschluckt zu werden, keine Investionen mehr getätigt bzw. alles heruntergefahren. Mit "Tafelsilber", den Entschädigungszahlungen von GM hat man dann versucht, FIAT zu "sanieren", was man angesichts der finanziellen Situation in der heutigen Zeit als gelungen ansehen kann. Lancia hat in dieser Zeit der Krise besonders gelitten, noch extremer als FIAT selbst.

Die Probleme liegen darin, dass "zu viele" Arbeiter hier in Italien "zu wenige" Fahrzeuge produzieren und angesichts der Globalisierung zu teuer produziert wird. Eine Schuld hat auch der Euro, der im Gegensatz der Volksmeinung in Deutschland, der deutschen Autoindustrie gelohnt hat. Italien hat seine Produkte immer auch dank der schwachen Lira verkauft, während die Importe sehr teuer waren. Jetzt hat man eine "harte" Währung und die Folge ist, dass die Exporte für FIAT kostspielig sind, für VW in Richtung Italien günstiger als früher.

Aber in Italien hat sich diese Problematik noch nicht herumgesprochen, ergo fordert man die "Quadratur" des Kreises.

Dazu kommt auch in Italien eine historische Dimension hinzu, die ich hier nicht weiter ausführen möchte. Somit gibt es Misstrauen auf beiden Seiten, FIAT traut den Arbeitern nicht, die FIAT nicht. Irgendwo ist es verständlich, denn wenn man sieht, wie in Pomigliano gearbeitet wurde, kann ich verstehen, dass man den Leuten nicht traut, umgekehrt ist auch die Art und Weise, wie man nun Pomigliano auf andere Fabriken ausweiten möchte, auch nicht gerade dazu geeignet, unter der Arbeiterschaft Vertrauen zu schaffen, zumal früher viele Versprechungen nicht eingehalten wurden und am Ende die Arbeiterschaft die Zeche zahlen musste.

Erst hieß es, der Vertrag um Pomigliano sei ein "Einzelfall" und nur für Pomigliano gedacht, dann auf einmal wollte man diese Vereinbarung auch auf Mirafiori ausgeweitet sehen und nun auch in der Bertone-Fabrik und demnächst? Aus taktischen Gründen hat man den Arbeitern in Italien keinen reinen Wein eingeschüttet und somit ist auch verständlich, dass die Leute in Modena und bei Turin (Ex-Bertone) dem Braten nicht trauen. Man hat Angst, heute unterschreibt man eine Abmachung, die dann ungeahnte Konsequenzen für den Einzelnen hat. Man vermutet dahinter nur ein weiteres taktisches Spiel.

In erster Linie ist die FIOM gegen FIAT, die der größten Oppositionspartei sehr nahe steht und mit Sicherheit auch ihr "Süppchen" kocht. Aber das ist Italien, damit hat Italien immer gelebt und wird damit immer leben.

Ich gehe einmal davon aus, dass am Ende auch im Ex-Bertone-Werk eine Abmachung kommen wird, denn wie gesagt, es ist NUR die FIOM (wenn auch größte Einzelgewerkschaft), die die Ausweitung der Abmachung aus Pomigliano und Mirafiori ablehnt.

Es funktioniert wie folgt: FIAT verspricht hohe Investionen (man will angeblich in Italien rund 20 Mrd. Euro investieren), droht aber gleichzeitig, diese nicht zu tätigen, wenn die Arbeiterschaft nicht alle der Abmachung zustimmen.

Die Ex-Bertone-Fabrik hat die modernste Lackierstraße der FIAT-Gruppe auf italienischem Boden (nicht umsonst machen sich die Leute in Modena Sorgen, dass am Ende sie leer ausgehen), sie liegt zurzeit auf Eis und FIAT hat diese Fabrik nicht aufgekauft, um am Ende dort nichts zu bauen.

Anders ausgedrückt, es lohnt sich für FIAT eher, dort zu investieren als irgendwo anders in Italien. Also gehört das für mich zum taktischen Spiel zwischen FIAT als Eingentümer der Fabrik und den Gewerkschaften, wobei am Ende der Vertrag von Pomgiliano und Mirafiori auch auf dieses andere Werk - und dann Stück für Stück auf alle anderen Werke - übertragen wird.

Daher sollte man nun nicht gleich in Panik ausbrechen. Die gleiche Taktik hat man auch schon in Pomigliano angewandt und am Ende doch sich geeinigt, so auch in Mirafiori.
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