Das Schlimme an Berlusca ist, dass man ihm glaubt. Er hat vor einigen Jahren, als ein paar Flüchtlinge durch Schüsse unserer Schutzpolizei mit ihrem Boot untergegangen waren und starben, geweint. Du liest richtig "GEWEINT", aber es ist der gleiche Mensch, der de facto den Auftrag dazu gegeben hatte, nicht dieses Boot, aber eine Art "Generalauftrag". Es ist die Person, die am Zivilschutz gerade eben gespart hat, der Gelder beim geologischen Landesamt für Beben und Vulkane so stark eingespart hat, dass nicht nur viele entlassen werden, sondern die sich genötigt sahen, das auf ihrer Homepage öffentlich zu bennen.
Es ist der gleiche Mann, der vorhatte, den Menschen selbst in Erdbebengebieten zu erlauben, ihre Häuser höher zu bauen, deren Statik dann natürlich beeinträchtigt worden wäre, wie es hier in meiner Region bei einigen illegal erhöhten Gebäuden der Fall war.
Das mit der Tiefe weiß auch ich. Glaube mir, ich bin mit der Zeit der Beben fast ein halber "Bebenforscher" geworden, bei dem der PC auch nachts lief und somit ich immer wusste, wie stark die Beben waren. Ich habe die weltweiten Infos in mich hineingezogen, dass ich ein halber Experte wurde und daher weiß ich genau, was in Abruzzen passiert ist und vor allem wie das zustande kam.
Es gibt in meiner Region seit dem Beben eine gesonderte Verordnung, die beispielsweise die Bodenbeschaffenheit berücksichtigt. Es gibt keine einheitliche Verordnung mehr, weil man aus den Erfahrungen gelernt hat, dass die Bodenbeschaffenheit extrem wichtig ist.
Wir sehen in erster Linie die Bilder von "Aquila" und die gestriegen Bilder zeigen, dass auch viele Teile der Stadt unversehrt geblieben sind und eigentlich nur die Altstadt (so wie es auch in Umbrien und Marken der Fall war) davon schwer betroffen waren. Wir hatten das Glück, dass seit den 80er Jahren, nach dem Beben von Ancona grundsätzlich alle neuen Gebäude antisismisch gebaut wurden, allerdings die Mehrzahl der Altbauten eben nicht. Die Korruption war hier geringer, die Mentalität noch etwas "nördlicher" und vor allem im Gegensatz zu L´Aquila keine große Stadt davon betroffen. Im Epizentrum damals lagen nur kleine Orte und die größeren Städte, die wiederum erheblich kleiner als L´Aquila waren, waren schon etwas außerhalb. Die größte Stadt der Umgebung war Perugia und die Stadt lag schon ca. 70 bis 80 Km davon entfernt.
Was ich aber sagen wollte, wir sehen die Bilder von der Hauptstadt der Region. Die wahre Katstrophe aber fand nicht dort statt, sondern in den vielen Dörfern der Umgebung. Ich bin sicher, L´Aquila wird sich schnell erholen, sie werden schnelle Hilfe haben und die Mehrzahl der Gelder gehen dorthin, aber die Umgebung ist erheblich schlimmer betroffen und die Hilfe wird dort noch schwieriger hinkommen. Es gibt einen Ort dort, wo von 390 Einwohner 40 gestorben sind. In der Peripherie, das zeigte auch das Beben hier, sind viele Orte eben uralt mit Häusern die niemals etwas von "antisimisch" gehört haben, wenn wir einmal davon absehen, dass man Eisenverstrebungen an der Hauswand angebracht hat.
Diese Orte sind teilweise schwer zugänglich, sodass schnelle Hilfe einfach nicht möglich ist. Das ist keine Frage von Geld, keine der Organisation, sondern einfach durch die Standorte dieser Orte bedingt. Oft sind es nur einige Häuser an Steilhängen gebaut, mitten im Gebirge und es sind sehr viele Orte, die so sind. Die dürften teilweise komplett dem Erdboden gleich gemacht worden sein.
Fio, ich habe nichts gegen gli abruzzesi, denn die Probleme, die dort sind, gelten für überall. Sie haben sich dort vielleicht verstärkt bemerkbar gemacht, weil man, wenn ich mich nicht irre, dort 50 Jahre Ruhe hatte, bei uns aber waren schwere Beben häufiger, wenn auch oft schwächer, aber viele Gebäude sind halt schon vorher oft beschädigt gewesen und somit war natürlich die Notwendigkeit gegeben, dass man eben halt besser restaurierte. Dazu war der Schock des Bebens von Ancona noch in den Knochen vieler, weswegen man auch mehr aufpasste, dass alles genau eingehalten wurde.
Also sei mir nicht böse, dass ich wütend bin. Ich bin nicht wütend über die Opfer, sondern darüber, dass diese Menschen leiden müssen, weil "wir" Geldgier vor allem anderen setzen. Meine Wut richtet sich dagegen, weil dieses Ausmaß zu vermeiden gewesen wäre. Glaube mir, ich verzichte dankend auf Erdstöße und absolut sicher kannst du nie sein (beim zweiten Beben bei uns wäre ich beinahe gegen einen Felsen mitten auf der Straße gefahren, der 2/3 der Straße blockierte und das für mich im Gefälle. Ich habe getobt, weil ich nicht wusste, dass gerade das zweite Beben war (im Auto habe ich es nicht gemerkt). Du kannst also niemals alles zu 100% ausschließen. Dazu sind viele Opfer an Herzinfarkt gestorben und nicht als Opfer einstürzender Häuser (bei uns sind damals auch die Opfer unter in Panik herausspringenden Menschen und Personen mit Herzinfarkt zu finden). Das alles kannst du niemals zu 100% in den Griff bekommen, genauso nicht, wie herabstürzende Dachziegel usw usw usw. Genauso kannst du auch keine Garantie geben, dass nicht vielleicht das eine oder andere Haus nicht richtig gebaut wurde, vielleicht auf falschem Grund liegt, oder in der Struktur unsichtbare Vorschäden hatte. Genauso wenig kannst du jemals dafür sorgen, dass das eine oder andere Gebäude trotzdem unbewohnbar wird, aber das Ausmaß, das kann man verringern. Schon 1997 wurde vieles vermieden, weil man besser baute, aber bei weitem nicht genug. Wir hatten das Glück, dass de facto eigentlich keine direkten Toten zu beklagen waren, aber die Konsequenzen danach mussten sehr viele erleiden. Viele meiner Schüler lebten über Jahre in unmöglichen Behausungen und wohlgemerkt, mit Eltern, oft Großeltern und Geschwistern und dann in einem ´Container und im Gebirge wird es hier sehr kalt, minus 15 Grad ist keine Seltenheit, nicht eine Woche, nicht einen Monat oder ein Jahr, sondern viele Jahre!!!
Du kannst mir glauben, dass der Schock bei mir tief sitzt, nicht weil ich Angst vor den Beben an sich habe, sondern weil es für mich eine Art Déjà-vu ist. Ich habe noch die Bilder des Zivilschutzes, der seinen Hauptsitz in meinem Ort hatte, vor Augen. Ich erinnere mich noch an die Zelte, zwei große standen vor meiner Haustüre. Ich erinnere mich an Polizei und Militär, die hier fuhren, um vor Diebe und Verbrecher zu schützen, die die Situation hätten ausnutzen können, die vielen Hubschrauber, die tagtäglich über unsere Köpfe flogen. Ich erinnere mich beim Durchfahren der Orte hier die vielen Wohnwagen, die Wohncontainer. Alles das kommt natürlich wieder hoch. Ich weiß schon jetzt, was den Abruzzesi erwartet. Die Erde wird dort für 6 bis 9 Monate nicht still stehen. Das ist ein komisches Gefühl, man läuft immer irgendwie auf "Eiern". Es werden einige tausend Erdstöße sein, von denen sie sehr viele spüren werden, auch weil die Sensibilität zunehmen wird und man Erschütterungen, die man vorher vielleicht einem LKW, einer laufenden Person im Haus oder was auch immer zugeordnet hat nun man eindeutig einem Beben zuordnen kann.
Allein am ersten Tag sind es über 200 Erdstöße und selbst nach einigen Monaten können Beben der Stärke 5 noch vorkommen.
Ich bin kein Mensch, der leicht in Panik gerät, der JEDE Nacht in der Zeit der Beben zuhause schlief, der nicht panikartig bei jedem Erdstoß das Weite suchte oder in Panik nur im Zelt übernachten wollte, aber ich kann sagen, dass es wirklich angenehmere Dinge gibt, denn die Erde ist NIE wirklich still. Es sind Vibrationen, die durch den Körper gehen, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Die Phasen werden sein, dass man zuerst bei jedem Erdstoß ein komisches Gefühl in der Magengegend hat, keine Panik, keine wirklich Angst, in etwa wie wenn man mit einem Schiff über eine Welle fährt. Dann beginnt man sehr schnell mit der Phase, dass man die Stärke der Beben einschätzt und man wird verblüfft sein, wie genau man das nur vom Gefühl her einschätzen kann. Am Ende wird einem fast schon etwas fehlen, wenn die Erde nicht bebt, weil man sich daran gewöhnt hat und man lernt, damit einzuschlafen.
Daher ist natürlich IMMER mein Mitgefühl mit den Menschen dort in den Abruzzen, meine Solidarität sowieso und ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass es bei ihnen noch besser funktioniert als bei uns und dass nun endlich das Beben zum Anlass genommen wird- nicht in ganz Italien, das ist mir klar- wenigstens vor Ort so zu bauen, dass so etwas nie mehr passieren wird. Bei uns hat man vieles gelernt, viele Dinge wurden für die Bebenforschung neu entdeckt (Resonanzen) und es wurde viel wert auf antisismische Bauweisen vor allem bei Altgebäuden gelegt, denn gerade sie sind teilweise Kulturgut von teilweise ungeheurem geschichtlichen wie kulturellen Wert und keiner möchte in einer wichtigen Kirche sein, wenn diese einstürzen sollte.
Ich denke mir, dass man auch in L´Aquila das verstanden hat (zu spät für die vielen Opfer, aber vielleicht nicht zu spät, um in naher Zukunft dort so etwas zu vermeiden), aber der Rest Italiens wird wie immer den Schlaf der "Gerechten" schlafen und dann stehen wir wieder vor so einer Katastrophe. Ich möchte hier daran erinnern, dass 60% aller Italiener!!!! an Orten leben, die extrem gefährdet sind, nicht allein wegen Beben, sondern Vulkanausbrüche, Erdrutsche und Überschwemmungen. Italien ist ein Land mit großen Naturproblemen.
Ich möchte aber auch hier bei aller Kritik an vielen Dingen sagen, dass der Zivilschutz wie auch in meiner Gegend sehr gut funktioniert hat. Die Leute des Zivilschutzes sind teilweise über die eigenen Kräfte hinausgegangen. Ein Feuerwehrmann erlitt einen Herzinfarkt während der Arbeiten. Ich habe schon bei unseren Beben bewundert, wie schnell und mit welchem Einsatz alles koordiniert wurde und wie effizient gearbeitet wurde. Mehr ging wirklich nicht.
Dass nicht alles gleichzeitig "perfekt" läuft und laufen wird, ist keine Frage von Geld, keine Frage des Einsatzes und keine Frage der Mittel und der Einsatzkräfte, sondern begründet sich in der Schwierigkeit, viele Orte zu erreichen. Ich kenne das von hier. Oft hast du einzelne Häusergruppen verstreut, über Kilometer mitten im Gebirge. Mit großen Fahrzeugen kommst du nicht hin und mit kleineren Fahrzeugen sind die Wege oft sehr beschwerlich und Hilfe auch nicht so leicht schnell zu geben. Dazu denke ich mir, wird auch wie bei uns die Mentalität mancher Personen die Situation verschlimmern, weil sie sich weigern werden, ihre Orte zu verlassen und alles nur vor Ort haben wollen, am besten das Zelt vor der Türe des kaputtenen Hauses.
Bei uns war damals ein heftiger Streit entbrannt, weil der Zivilschutz Zeltdörfer errichten wollte, damit man das alles besser organisieren konnte. Dazu boten viele Hoteliers an, viele Menschen kostenlos aufzunehmen, doch die wenigsten nahmen solche Angebote an und am Ende musste der Zivilschutz den Wünschen der Menschen nachgeben.
Wie gesagt, der Zivilschutz dürfte- soweit ich das von hier beurteilen kann- genauso hervorragend funktioniert haben wie hier und dafür gilt diesen vielen Helfern mehr als nur der Dank. Sie verkörpern das andere Italien, das auch mein Land ist.
Fio, solltest du in den Abruzzen sein, bestell denen "schöne Grüße" aus den Marken. Ich weiß, was sie empfinden, weil ich das alles hinter mir habe
Un saluto a te und gute Genesungswünsche an dir (tutto a posto? Come stai?)
Bernardo