Also fangen wir einmal an: Die Giulia wirkt im Freien, also nicht im Saal irgendwie „anders“, ja „besser“ aus. Ich bin Hause aus kein Fan „überlanger“ Motorhauben mit kurzem Heck, sondern habe es lieber proportionaler, aber bei der Giulia hat man das gut hinbekommen.
So in der Fahrt sieht die Giulia auch verdammt schön aus. Aber sicherlich ist die Giulia keine Designikone, aber das sind normalerweise „Butter-und-Brot-Autos“ bei Alfa auch früher extrem selten gewesen (Alfa ist NICHT Lancia), also kann man nicht etwas verlangen, was auch nicht in der Alfa-DNA liegt.
Die Seitenlinie erinnert etwas an einen 3er BMW, das Heck dagegen in weitestem Sinne an den 156er, dafür ist die Front sehr markant, anders als beispielsweise beim Jaguar XE, der sicherlich auch „formschön“ ist, aber –leider- eine „08-15-Front“ besitzt, die man auch bei einem Asiaten sehen könnte (da sind die anderen Jaguars markanter).
Zum Glück ist man von der „8C-Front“ weg, die ja zuerst vom MiTo und dann von der Giulietta übernommen wurde und hat sich wieder auf die Werte der vorherigen Generationen besonnen.
Ich persönlich bin ein Fan des 159er, der für mich noch heute zu den schönsten Limos (und SWs) gehört. Da ist die Front vielleicht noch markanter. Den 159er empfinde ich als eleganter, die Giulia vielleicht sportlicher und dynamischer, vielleicht auch „solider“, auch wenn der 159er schwerer war. Aber wie immer ist Design auch eine Frage des Geschmacks.
Man darf nicht vergessen, das Fahrzeug sollte in Punkto Platzverhältnisse, Kofferraum und Aerodynamik wenn nicht gar Benchmark, dann zumindest zu den Topfahrzeugen zählen, Heckantrieb war ein Muss, große Motoren sollten auch noch unter der Haube passen und dann wird die Giulia nicht nur in Europa verkauft und nicht nur an einem bestimmten Kundenkreis, ergo zeichnete man die Giulia auch, damit sich ein breiteres Publikum ansprechen sollte.
Dafür ist das Ergebnis dann wirklich sehenswert und die Giulia ist an sich eine gelungene Limousine, für mich „schöner“ als die gesamte Konkurrenz.
Dann zum Innenraum. Der Innenraum hat mich nach Jahren der Enttäuschung (siehe Giulietta) erfreut. Ich bin kein Fan von Klimaanlagendrehknöpfe, die so aussehen, wie eine manuelle Klimaanlage, also für mich ist Minimalismus nicht „Maximalismus“. Auch die Giulia hat drei Drehknöpfe für die Klimasteuerung, aber die sind so dezent, so toll ins Gesamtbild angepasst, dass man das zusätzliche Display, das bei FIAT/Lancia/Alfa für die Klimaautomatik sonst seit vielen Jahren Standard war, nicht wirklich vermisst. Dank des großen Monitors, der schön eingearbeitet ist (im Testfahrzeug war der große 8,8“ große Monitor verbaut) , wirkt alles wie aus einem Guss. Die Instrumente sind in solchen Röhren integriert, wie sie bei Alfa üblich sind und somit an die alten Alfas erinnern lassen.
Den „Minimalismus“ der Giulietta im Innenraum, den man bei BMW abgeguckt hat, sucht man – zum Glück – bei der Giulia vergebens. Das, was mich am meisten positiv überrascht hat, war das Lenkrad. Obwohl mit Airbag, obwohl mit Multifunktionstasten für „jeden Mist“, wirkt es so, wie früher die Lenkräder bei Alfa waren. Das hat man trotz alledem wirklich toll hinbekommen. Negativ fielen mir die beiden äußeren Lüftungsdüsen auf. Sie sind doch etwas „übergroß“ dimensioniert und wirken sehr aufdringlich, aber das ist Jammern auf hohem Level.
Die Sitze sind toll, geben genügend Seitenhalt und ich fand sofort meine „Idealposition“, überraschend schnell sogar. Die Materialien sind wirklich gut, für mich „hochwertiger“ als bei den von mir bekannten 3er BMWs oder A4 und wenn Quattroruote der Giulia Materialanmutung auf dem Level der Premiumhersteller, auch aus Deutschland, ansiedelt, dürfte ich mit einer Betrachtung nicht so danebenliegen (man muss ja auch schauen, welche Versionen man gerade hat)
Die Platzverhältnisse hinten sind gut, allerdings ist der Ausstieg etwas beschwerlich. Der Kofferraum ist groß, leider gibt es – zumindest vorerst – keine geteilte umklappbare Rückbank (ich hatte sie bei meinem Dedra und der Delta als „Hatch“ hat sie auch).
Zum Fahren: einmal den Motor gestartet – er war schon warm – fiel die Laufruhe auf. Diese Neuentwicklung – das Testfahrzeug hatte den 2,2 MultiJet – ist warm sehr laufruhig und kultiviert, kaum als Diesel wahrnehmbar. Die Giulia ist sehr leise, sehr gut isoliert und – zumindest das Testfahrzeug – absolut knisterfrei. Das Testfahrzeug schien auch sehr gut „zusammengebaut“ zu sein und die in der Quattroruote bemängelte Zierchromleiste, war hier „perfekt“ eingearbeitet und nicht wie in der Zeitschrift, mit fehlender Passgenauigkeit.
Ich kann nicht sagen, dass die Giulia leiser als mein Delta war. „Gefühlt“ würde ich behaupten, dass beide bei Tempo ca. 130 mehr oder weniger gleich leise sind, aber die Giulia hat weniger Windgeräusche. Mein Delta besitzt an den Außenspiegeln doch erheblich mehr Windgeräusche, die sich nur dann reduzieren lassen, wenn ich diese elektrisch einfahre. Das ist bei der Giulia eindeutig besser gelungen, auch wenn etwas empfindlicher die Sache sehen will, dann sind auch bei ihr leichte Windgeräusche wahrnehmbar.
Der Motor ist bullig, zieht vom Stand sehr gut weg und hat ein tolles Durchzugsvermögen, allerdings wirkte er gegenüber meinen Delta (1,8er Benziner) doch etwas „schwerfälliger“. Und da ich mit dem Delta vor Ort war, hatte ich ja sofort den Vergleich. Laut Zeitungstest dürfte die Giulia aber mehr oder weniger genauso gut sprinten wie der 1,8er Delta. Mag sein, dass es vielleicht nur das reine Gefühl ist, oder aber, was vielleicht wahrscheinlicher ist, dass mein Delta ja eingefahren ist, die Giulia aber noch neu war. Erfahrungsgemäß brauchen die MultiJets rund 10.000 Km (in dieser Zeit ist auch die Motorsteuerung anders ausgerichtet), bis sie sich freigefahren haben, also mag es wohl daran gelegen haben. Andererseits fehlen auch 20 PS (vielleicht noch mehr, denn zumindest die 1,8er Motoren stehen im Ruf, deutlich mehr Leistung zu haben).
Über den Verbrauch kann ich nicht wirklich etwas Aussagekräftiges sagen. Laut BC waren es rund 6 Liter (16,6 km/l), aber ich vermute einmal, wenn man nur Vollgasorgien hat, dürfte man darüber liegen, umgekehrt, wenn man „gleitet“ und auf den Verbrauch achtet bzw. das Fahrzeug eingefahren ist, dürften auch 5 Liter durchaus möglich sein. Für mich angesichts der Leistung und des Fahrzeugsegments ein sehr interessanter Wert, denn das können Fahrzeuge aus dem C- und teilweise auch B-Segment mit deutlich geringerer Leistung, oft auch nicht besser.
Die Bremsen sind sehr gut, packen sehr gut zu und am meisten hat mich die Lenkung überrascht, denn ich bin von elektronischen Lenkungen gewöhnt, egal bei welchem Fahrzeug, dass diese sich sehr synthetisch anfühlen. Aber für mich war sie dennoch etwas gewöhnungsbedürftig, weil ich ja normalerweise Vorderradantrieb fahre und somit für mich immer wieder eine Umstellung ist, absolut keine Leistungseinflüsse in der Lenkung zu haben, wodurch die Lenkung besonders leichtgängig wirkt, aber das ist halt eine Frage der Gewöhnung. Wer nur Heckantrieb fährt, für den ist dies das „Normalste“ auf der Welt. Dennoch ist die Lenkung extrem direkt, sehr präzise und sorgt für eine interessante Fahrdynamik.
Anders als bei der Höchstgeschwindigkeit, die ich logischerweise nicht austesten konnte (in I. ist auf der Schnellstraße normalerweise maximal 110 erlaubt und mir war es eh auch nicht wichtig, was er nun wirklich läuft (in den offiziellen Tests lief er laut Autozeitungen so um die 230-231 Km/h und ich gehe einmal davon aus, dass er diese auch wirklich schafft, ohne große Probleme), aber der Zug ist schon enorm und die gute Aerodynamik merkt man schon, konnte ich schon deutlich mehr beim Fahrverhalten „experimentieren.
Denn hier hat man überall Hügeln und Berge, ergo jede Menge Kurven. Die Giulia ist erstaunlich gutmütig für einen Heckantrieb und lässt hohe Kurvengeschwindigkeiten zu. Die Karosse ist sehr verwindungssteif und man merkt, dass sie für 510 PS (und wohl auch darüber) entwickelt wurde. Die 180PS sind für die Giulia nicht wirklich problematisch. Ja man wünscht sich weit mehr PS, weil man das Gefühl hat, da ginge noch viel mehr. Die Tests „kritisieren“, dass man das ESP nicht komplett abstellen kann, aber im Alltag, auch bei „Kampflinienfahren“ spielt das keine Rolle, denn bei einem kundigen Fahrer wird das ESP sowieso nie in Aktion treten (schlimmstenfalls das ASR, was man aber deaktivieren kann), auch nicht im Extremfall. Man muss schon wirklich vieles derart falsch machen, dass es eingreifen dürfte (ich habe es nicht ausprobiert, weil ich so nicht fahren kann, um es zu provozieren).
Einziges „Manko“, sofern man es als Manko bezeichnen will, durch die geringe Geräuschentwicklung muss man immer brav den Tacho im Blickfeld haben, denn sonst ist man schneller den Führerschein los, als man es für möglich hält und es ist wirklich verdammt anstrengend, innerorts „brav“ 50 zu fahren und somit sollte man auch bei Kurvenfahrten immer brav achten, denn so toll die Straßenlage der Giulia ist, physikalische Kräfte kann auch sie nicht außer Kraft setzen

Fazit: eine wirklich gelungene und schöne Limousine, die in jeder Hinsicht mit der Premium-Konkurrenz mithalten kann. Ja, wenn man etwas „kritisieren“ kann, dann dass sie vielleicht schon wieder „zu perfekt“ ist. Es fehlt etwas an einer „Seele“, aber vielleicht muss man sich nur etwas mehr mit der Giulia beschäftigen, um diese Seele zu finden.
Fahrverhalten, Motor, Innenraum, Materialanmutung, Fahrkomfort und Design liegen auf einem sehr hohen Level, für Alfa ein Quantensprung.
Was die Zeitungen kritisiert haben, sind eher „Nebensächlichkeiten“, die nichts mit den Kernpunkten zu tun haben. Die Verarbeitung ließ bei einigen Testfahrzeugen (Quattroruote) zu wünschen übrig und hier wurde eine nicht perfekt eingepasste Zierleiste herangezogen, aber ich vermute einmal, dass es sich hierbei – wie auch im Test erwähnt – um ein Vorserienfahrzeug handeln dürfte. Die Fahrzeuge, die nun bei den Alfa-Händlern sein dürften, dürften schon deutlich besser sein. Mein Testfahrzeug hatte jedenfalls perfekt eingearbeitete Zierleisten (darauf habe ich als Erstes geachtet), aber auch sonst „passte“ alles.
Wie gesagt, die Kritik richtete sich eher auf Dinge wie „fehlende“ Umklappmöglichkeit der Rückbank, keine LED-Leuchten, kein Internet-Zugang für das Infotainment (sogar mein Ypsilon hat im Blue&Me TomTom Live eine „SIM-Karte“ drin, um „online“ einige Infos zu bekommen bzw. abfragen zu können), aber wie ihr euch vorstellen könnt, war das für meine Testfahrt nicht von Bedeutung und viele Features werden im Laufe der nächsten Wochen und Monate nachgeschoben, wie es ja auch bei FCA schon früher – jetzt auch mit dem Tipo – der Fall war und genauso auch i.d.R. bei der Konkurrenz, speziell wenn es sich um eine komplett neue Entwicklung handelt.
Wer eine formschöne Limo sucht, die nicht zum „Einheitsbrei“ gehört, die eine markante Front besitzt, im Innenraum immer noch das italienische Flair versprüht, der ist mit der Giulia gut bedient.
Die Frage nach den Motoren ist sicherlich für den einen oder anderen wichtig, aber sofern man nicht umweltmäßige Probleme mit einem Euro6-Diesel bekommt und man nicht immer nur Kurzstrecken fährt (mein Gott, dann fährt man halt am Wochenende über die Bahn und „bläst den Auspruff frei“, die Giulia holt man sich ja auch, um damit zu fahren und nicht, um sie sich in die Garage zu stellen und eigentlich sind auch große Benziner nicht unbedingt geeignet, nur Kurzstrecken zu bekommen. Die mögen das auch nicht, auch wenn sie dann dafür keine DPF-Probleme haben, dafür aber welche eventuell mit dem AGR-Ventil), ist dieser 2,2l MultiJet sicherlich eine gute Wahl und man sollte diesen Motor nicht von vorneherein ausschließen.
Klar, will man noch mehr Leistung haben, kommt man an die beiden leistungsstärkeren Benzinern nicht vorbei (lassen wir den Quadrifoglio beseite), aber schon der 2,2er mit 180 PS „rennt“ sicherlich 230-240, beschleunigt in 7 Sekunden von 0 auf 100, also alles Werte, die ehrenwert sind.
Für „Leistungsfetischisten“, die aber auch nicht unbedingt jetzt mit „Kriegsbemalung“ durch die Gegend fahren wollen (die Quadrifoglio-Version ist ja im Endeffekt mit „Kriegsausrüstung“ und weniger elegant), käme nur der 280 PS-starke Vierzylinder-Turbobenziner infrage, dessen Fahrleistungen wohl mehr als „überragend“ sein dürften. Diese Variante soll – zumindest vorerst- für den US-Markt bestimmt sein bzw. in Europa in Verbindung mit einem Allrad kommen, aber auch die 200PS-Variante dürfte schon viel Leistung haben, auch weil die Giulia verhältnismäßig leicht ist.
Meine Erfahrungen im Allgemeinen: Bei all dem Ärger, den wir oft über Marketing, dem vermeintlichen Fehlen einer „Wunschvariante“ oder dem einen oder anderen Extra, sollte man, sofern man Interesse an eine Limo im D-Segment hat, eine Giulia zur Probe nehmen, einfach fahren, ausprobieren und dann schauen, ob sie zu einem passt oder nicht, unabhängig von dem, was Tester oder andere einschließlich meiner Wenigkeit sagen, denn nichts ist „überzeugender“, positiv wie negativ, als das eigene Ausprobieren. Sicherlich ist die Giulia nicht „billig“, aber sie ist in meinen Augen jeden Cent wert.