Hallo Frank,
man müsste 70 Jahre Geschichte „aufarbeiten“, um alles das wenigstens halbwegs zu verstehen. Nur so viel am Rande, Italien wurde beinahe 50 Jahre von der DC regiert, Giovanni Agnelli war Mitglied der DC und Senator auf „Lebenszeit“, seine Schwester einmal Außenminister einer italienischen Regierung.
Meinst du nicht auch, dass er „genügend“ Einfluss bis ca. Mitte der 1990er Jahre auf die italienischen Regierungen hatte?
Ich will nicht die Geschichte um der „democrazia bloccata“ aufwärmen, also tun wir einfach so, als seien die Politiker einfach alle „nur“ dumm gewesen. Fakt ist, dass man sich die „Pleite“ vom Staat, von der Region, der Provinz und last but not least von den „betroffenen“ Kommunen, von denen es ja einige gab, mit Gold bezahlen gelassen hat.
Je mehr Geld aus „Angst“ gepumpt wurde, desto schlechter ging es auf einmal FIAT. Damit nicht genug, welcher „normale ökonomische“ Grund kann es geben, die Produktion in einer der damals modernsten italienischen Fabriken mit der damals „besten“ Lackierstraße der gesamten FIAT-Gruppe einzustellen, um diese in eine Fabrik zu verlegen, die schon, bevor Alfa zu FIAT kam, „berühmtberüchtigt“ war und über deren Zustände ich – wenn ich mich nicht irre – hier einmal berichtet habe.
Warum bringst du eine Produktion aus einer Stadt weg, in der die Industrie „zuhause“ ist, die Menschen auch vom Lebensrhythmus her daran gewöhnt sind, in eine Stadt, in der nicht wenige der Meinung sind, wenn es draußen „schön“ ist, dann geht man lieber ans Meer anstatt in die Fabrik, ohne auf die Problematik mit dem „organisierten“ Verbrechen hinzuweisen.
Lassen wir die Problematik der „wilden“ Streiks beiseite, weil sie ein Teil der „democrazia bloccata“ und des „Kalten Krieges“ waren, aber wie oft wurden von FIAT Abmachungen und Vereinbarungen samt Verträgen einfach gebrochen? Am Tag der Urteilsverkündung, die die Wiedereinführung der Arbeiter in Chivasso zufolge gehabt hätte, gingen Planierraupen hin und machten Chivasso dem Erdboden gleich. Also nicht einmal vor der Justiz hatte man Respekt, weil man es sich erlauben konnte.
Dass man also FIAT „nicht“ traut, ist mehr als verständlich und da kommt die Problematik mit Marchionne. Er ging mit dem Spruch immer rein, „was interessiert mich die Vergangenheit, das war vor meiner Zeit“, was stark an die „Gnade der späten Geburt“ eines Helmut Kohls erinnert. Aber wenn du eh eine „Altlast“ hast, muss man versuchen, „Glaubwürdigkeit“ wieder aufzubauen. In Wirklichkeit aber verfiel auch ein SM in den Trott seiner Vorgänger, sich über Abmachungen einfach hinwegzusetzen bzw. nach dem Motto zu verfahren, was interessiert heute das Geschwätz von gestern.
Schlimmer noch, er hat im Endeffekt den Gewerkschaften recht gegeben, die eh grundsätzlich eine sehr „ablehnende“ Haltung gegenüber SM hatten und schon „immer“ vor ihm gewarnt. Am Ende machte er aus den „verantwortungsbewussten“ Gewerkschaftern im Endeffekt „Dummköpfe“ und demontierte diese vor deren Mitgliedern.
Das ist die ganze Problematik. Dass am Ende auch vonseiten der Gewerkschaften vieles im Argen lag und liegt, dass oft „unsinnige“ Showkämpfe ausgetragen wurden bzw. teilweise radikal und offen, auch gerichtlich gegen SM vorgegangen wurde, ist ein anderes Thema. Aber bedenke auch, in Italien gibt es keine „Streikkasse“, also wenn du streikst, hast du keine Einkünfte, aber die Rechnungen gehen weiter. Daher waren „langwierige“ Streiks, wie sie ja in Deutschland durchaus möglich und schon vorgekommen sind, kaum möglich, also muss man eine andere Strategie fahren, um wenigstens „halbwegs“ eine Chance zu haben, etwas auszurichten.
Was du nicht wissen kannst, aber leider in Italien nicht selten „Realität“, nämlich dass „Mantelverträge“ über Jahre abgelaufen sind. In Deutschland handeln nach Ablauf – ja eigentlich schon vorher – die Parteien (Gewerkschaft/Industrieverband) einen neuen Vertrag aus, in Italien liegen sie oft über viele Jahre brach oder werden Abmachungen dann kurzerhand gebrochen, ergo reagieren auch darauf die Arbeiter/Mitarbeiter, um darauf aufmerksam zu machen. Nicht wenige warten JAHRE auf ihr Gehalt, kein Witz und irgendwann ist es auch dem „Gutmütigsten“ zu viel und das erklärt ein Großteil vieler Streiks.
Wenn ich bedenke, wie oft SM die Meinung geändert hat, teilweise auch die Regierungen „belogen“ hat (wenn du eine Verlängerung der „Kurzarbeit ohne Stunden“ wegen „Umstrukturierungsarbeiten“ beantragst, musst du die „Hosen“ herunterlassen und klar sagen, warum. Das wurde getan, aber am Ende hieß es „April, April“, wird doch nix und schon wurde wieder eine Verlängerung beantragt), dann verwundert es mich nicht, wie man heute SM sieht. Vergiss nicht, am Anfang sah man die Figur SMs positiv, vielleicht zu positiv. Also muss er irgendetwas getan haben, was zum Umdenken geführt hat
So eine Politik eines Unternehmens hätte auch in Deutschland für hohe Wellen geschlagen.
Mir geht es nicht darum, nun in SM und FIAT den „schwarzen Mann“ zu sehen, denn auch wenn aus geschichtlicher Erfahrung nach dem Prinzip verfahren wird, der Feind meines Feindes ist mein Freund und im Endeffekt es ein Eigentor ist, zu glauben, man könne die eigenen Produkte derart verschmähen. Das ist extrem kurzfristig gedacht.
Jeder fünfte Arbeitsplatz hängt in Deutschland direkt oder indirekt an der Automobilindustrie, wobei hier nicht einmal solche Jobs eingerechnet sind, die nur deswegen existieren, weil der Arbeiter bei VW sich ein Brot, Eier und Milch kaufen kann.
Daher ist es mehr als verständlich, dass man „national“ versucht, um jeden Preis ein „positives“ Auslandsimage zu erzeugen und auch von den Medien her – von der Politik sowieso – ein so „tolles“ Bild der eigenen Produkte zu malen, dafür die der Konkurrenz in Grund und Boden zu reden.
Das ist volkswirtschaftlich gesehen eine „kluge“ Taktik und keiner in Deutschland käme auf die Idee, VW nur wegen der Praxis, die vor einigen Jahren ein Lopez anwandte oder wegen der Ausnutzung der Zwangsarbeiter einer gewissen Familie „Piech/Porsche“ auf deren Produkte zu verzichten.
Es wäre ein „ökonomischer“ Selbstmord. Aber das rechtfertigt dennoch nicht die Verfehlungen aus der Ära Romiti/Agnelli und heute Marchionne/Elkann. Man kann „verstehen“, warum gewisse Dinge so oder so laufen, aber es heißt nicht, dass am Ende auch „alles“ klug und brav ist.
Eine Sache am Rande: Ein gewisser Della Valle (Tod´s), sicherlich ein erfolgreicher Unternehmer und einer, derjenigen, die nicht in den Verdacht gewisser „Machenschaften“ zu stecken, hat erneut, nicht zum ersten Mal, Marchionne scharf kritisiert. Also ist auch er unter „guten“ Managern meines Landes mehr als umstritten und sicherlich nicht, weil Marchionne so „erfolgreich“ ist, sondern wegen seiner Arroganz, teilweisen Aggressivität und „Oberlehrerbenehmen“, um umgekehrt aber „brav“ seine Steuern woanders zu zahlen

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Ja, du hast es RICHTIG erkannt, dass das Regelwerk nicht ohne Grund geändert wurde

Wir erinnern uns, ein gewisser Ecclestone schaffte es, was bis zu dem Zeitpunkt verpönt war, um die Ferrari-Dominanz zu brechen (seiner Meinung nach war das ja „zu langweilig“), das Reglement während der Saison zu ändern.
Daher ist der Angriff von Marchionne auch etwas zu „interpretieren“ bzw. klar zu erkennen, worauf er gezielt hat.
Marchionne sprach die sehr gute wirtschaftliche Situation Ferraris an, also LMs „Verdienste“, meinte weiter, Ferrari habe „das beste Team, die bestmöglichen Fahrer und besten Mechanikern“ und dennoch führe man hinterher.
Was heißt das? „Italienisch“ heißt das, Montezemolo hat es nicht verstanden, sein „politisches Gewicht“ derart durchzusetzen, dass Ferrari, was nach dem Potenzial eigentlich möglich wäre, weiter oben mitfährt. Er war also gegenüber Ecclestone einfach zu „lasch“. Das ist der indirekte Vorwurf, denn weder fährt Montezemolo selbst, noch ist er „Teamchef“. Wenn die „Verantwortlichen“ „alle“ gut sein sollen, bedeutet, dass LM nicht genügend die Interessen Ferraris vertritt, um bessere Ergebnisse zu erzielen.
Das sind auch unterschiedliche „Arbeitsweisen“, Montezemolo, der eher kultiviert und gepflegt daherkommt, zwar auch eine „klare“ Sprache sprechen kann und es auch tut, oft sogar „direkter“ und „klarer“ als ein Marchionne, aber eben „kultiviert“, während Marchionne gerne den „Holzhacker im Walde“ spielt, nicht selten verbal stark provoziert und auch gerne polarisiert, was LM in dieser teilweisen „vulgären“ Form fremd ist.